Strand-Geschichten eines Schreibwettbewerbs der TAZ - veröffentlicht auf Ferienwohnungen watt-meer.de
Rosa Kugeln
Science-Fiction am Strand
von MANU NOLTE (12. Preis)
Elise schlenderte am Strand entlang und bückte sich hin und wieder nach einer Muschel. In einem Algenknäuel bemerkte sie ein Glitzern. Mit spitzen Fingern legte sie ihren Fund frei: eine rosarote Kugel, ganz glatt, so groß wie eine Kinderfaust. War das eine Perle? So riesig? Elise schwenkte das glänzende Ding behutsam durchs Wasser.
"SacCf…SbdZzs…Initialisierung von Soother abgeschlossen. X-Tender-Programmmatrix auf Gehirnmuster der User-Rasse abgestimmt. Anzahl User: 1."
Elise setzte sich und umschloss die Riesenperle mit beiden Händen. Sie fühlte sich angenehm an, ein Handschmeichler.
"Soother, X-Dreamer-Programm: Programmrelevante Daten von User 1 werden empfangen."
Traumverloren starrte Elise aufs Meer hinaus und streichelte die Kugel. Die Wellen rauschten schäumend bis zu ihren Füßen. Wenige Meter vor ihr bäumte sich eine hohe Woge auf und teilte sich. Etwas schob sich aus ihrer Gischt empor, etwas, das wie ein glänzendes, schwarzes Algenbündel aussah. Elise blinzelte. Das war kein Tang, das war Haar, schwarzes Haar auf einem Kopf, der sich aus der Wellenkrone hob, gefolgt von Schultern, breiten, braun gebrannten Schultern, von denen funkelnd das Meerwasser abperlte. Es war ein Mann, der sich da vom Meer her auf sie zutreiben ließ. Das Wasser erreichte ihre Zehen, umspülte kühl ihre Fesseln und ließ einen nackten Traummann zu ihren Füßen zurück. Er stemmte seinen bronzefarbenen Oberkörper auf muskulösen Armen hoch. Elise sah sich um. Der Strand war menschenleer, auch Hans-Dieter war weg. Sie musste länger hier gesessen haben, als sie dachte. Etwas berührte ihre Füße. Wie eine zärtliche Welle strich der Mann aus dem Meer mit kühlen Händen ihre sonnenheißen Waden hinauf. Irgendwie schaffte er es dabei, keinen kratzenden Sand über ihren Sonnenbrand zu reiben, wie Hans-Dieter das immer tat. Die Kühle des Meeresgottes fühlte sich angenehm an. Ihre Haut glühte von der Sonne, sie brannte, fieberte und seine Hände waren Heilung, Erlösung von ihren Leiden. Seine wasserglatten Unterarme glitten über ihre heißen Schenkel, machten Platz zwischen ihnen für seinen Körper. Eine neue Welle umperlte ihre Knöchel, schwemmte ihn zwischen ihre Knie. Ihr Oberkörper sank in den warmen Sand zurück. Sein nasser, kühler Körper wurde auf sie gespült, in sie, in die glutheiße Bucht zwischen ihren Beinen, die Hitze abgeben und seine glatte Härte aufnehmen wollte, bis er heiß und sie kühl und erlöst sein würde.
Die Nachbarn machten Hans-Dieter auf Elise aufmerksam. Was tat sie denn da? Sie riss ihr Strandwickelkleid auf und legte sich nackt in den Sand zurück. Hier war doch kein FKK-Strand! Er stand auf und lief zu ihr.
Bei jeder Woge, die gegen ihre geöffneten Schenkel klatschte, stöhnte sie laut auf. Hans-Dieter bückte sich und murmelte beschwörend: "Elise!"
Sie reckte ihm ihr Becken entgegen, die rosa Kugel noch immer in ihren Händen. "Elise, was machst du denn!", zischte er ihr zu und griff nach ihren Händen.
"Soother, X-Dreamer-Programm: Programmrelevante Daten von 2. User werden empfangen. Neurographik erstellen. Querverbindungen und Korrelationen berücksichtigen."
Hans-Dieter wurde abgelenkt von einem Gefühl in seiner Badehose. Erstaunt sah er an sich herab: Was hatte er für einen schlanken Körper! Und da war sein Schwanz, groß und prächtig! Er fühlte etwas an seinem Knöchel - eine Hand. Sie gehörte zu dem goldhäutigen Körper eines blonden Hünen, der sich vor ihm im Sand räkelte. Der Blonde hatte Haare auf der Brust. Hans-Dieter fühlte einen Schauer durch seinen Unterleib fahren. Die Hand des Goldenen hatte seine Kniekehle erreicht und drückte hinein. Hans-Dieter sank auf die Knie, die Hand des Blonden wanderte weiter.
"Was treiben die denn da?"
"Na ja, was wohl …"
"Ja, aber doch nicht in aller Öffentlichkeit!"
"Ich glaube, sie sind verheiratet."
"Noch schlimmer."
"Miteinander."
"Auch das noch."
Die Leute sahen Elise und Hans-Dieter eine Zeit lang zu. Dann hörten sie einen ekstatischen Schrei und die beiden blieben liegen - glücklich, aber tot.
Soother. X-Tender-Programm: Vorzeitiges Programmende. Korrektur erforderlich, Fein-Justierung auf Alien-Rasse."
taz Nr. 7173 vom 4.10.2003, Seite 19, 147 TAZ-Bericht MANU NOLTE
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(Herzlichen Dank der TAZ, dass wir die Strand-Geschichten des Sommer-Schreibwettbewerbs 2003 hier auf watt-meer.de veröffentlichen dürfen.)
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